Ich weiß noch genau, wie schwierig diese Zeit vor Weihnachten immer war, als ich noch essgestört war. All' die Leckereien in den Läden und die selbstgemachten Plätzchen diverser Omas und lieben Freundinnen … Ich hatte dann immer ein paar Tage "durchgehalten", um schlussendlich über das Süße im Leben, das ich mir so gut wie nie gegönnt hatte, herzufallen. Anschließend hieß es natürlich wieder, das Konsumierte auszugleichen und zu verzichten – bis zum nächsten Essanfall. Natürlich hatte ich in all' den Jahren auch so gut wie nie selbst gebacken. Ich konnte es sowieso schon nicht ertragen, so viel Süßes um mich zu haben, warum es mir also noch schwerer machen? Auch Weihnachten würde vorbei gehen. Und somit die Qual der Abstinenz. Das dachte ich.
Die Wahrheit war: Ja, Weihnachten ging vorbei. Leichter wurde es danach aber auch nicht. Im Gegenteil – umso schwerer war mein Herz, weil ich es nicht geschafft hatte, diese eigentlich so wunderschöne Zeit zu genießen. Ich wollte sie einfach immer nur hinter mich bringen, anstatt mich darauf einzulassen und die Wärme zu spüren, die nun einmal ganz fest mit dieser Zeit des Jahres verbunden ist. Selbst die Feiertage mit meiner Familie waren für mich eine Qual gewesen. Einfach nur deshalb, weil das Essen omnipräsent war. Anstatt mich gehen zu lassen und zu genießen war ich damit beschäftigt, Kalorien zu zählen, panisch auf die Waage zu steigen und mich dank der Essanfälle fett zu fühlen, obwohl ich es schlichtweg nicht war. So habe ich mir fünfzehn Weihnachtsfeste selbst ruiniert, ohne einen Ausweg finden zu können.
Was hätte ich gebraucht, um den Glanz der Weihnacht spüren zu können?
Wenn du meine Beiträge bis hierher gelesen hast, dann kennst du die Antwort. Ich hätte einfach nur das Wissen gebraucht, dass ich aus vollem Herzen essen kann, ohne dabei über die Maßen zuzunehmen. Dass mein Körper mir ganz genau sagt, was er braucht und dass ich nur auf diese sehr plakativen Signale hören muss. Dass er alles tut, um mich bestmöglich am Leben zu halten. Leider bin ich davon ausgegangen, dass ich ihm nicht vertrauen kann und dass ich mit purer Willenskraft alleine schlank und somit auch "glücklich" sein kann.
Dieses Wissen alleine hilft dir jetzt nicht weiter. Ich weiß das. Es ist das Erleben, das Vertrauen schafft. Es ist der Weg, den du gehst, der dir zeigt, dass es stimmt. Diesen Weg heißt es, loszugehen. Es heißt, vollständig loszulassen und den Extremhunger zuzulassen. Wenn du aber das Gefühl hast, noch nicht loslassen zu können, aus welchen Gründen auch immer, dann gibt es dennoch einige kleine Dinge, die du tun kannst, um diese Weihnachtszeit in eine zu verwandeln, die den Zauber in dir wirken lässt.
ERSTENS …
Mache dir bewusst, dass diese Zeit jeden von uns zu seinen stärksten Gefühlen führt. Weihnachten verringert die Kluft zwischen Vergangenheit und Zukunft, Angst und Vertrauen, Einsamkeit und Wärme. Vor allem in Zeiten wie diesen. Was wir während dem Rest des Jahres in uns tragen, wird in der Weihnachtszeit umso größer. Dieser Magie können wir uns nicht entziehen. Selbst wenn wir nicht an sie glauben, ist sie da und beeinflusst unser Denken und Fühlen. Akzeptiere sie und nimm' sie an. Verstehe, dass wir alle kleine Kinder in uns tragen, die mit Weihnachten eine ganz besondere, eigene Geschichte verbinden. Schau' hin und betrachte dieses kleine Kind in dir. Kannst du ihm etwas Gutes tun? Höre genau hin, es spricht mit dir. Schließe die Augen und lass' es dir erzählen, was es braucht.
ZWEITENS …
Wenn du es nicht schaffst, dir Leckereien zu gönnen, dann versuche, dich mit Wärme zu füllen. Koche dir so oft es geht eine Suppe, trinke heißen Tee. Vielleicht gibt es ja Gewürze, die dich an das Weihnachten von früher erinnern – sofern es ein gutes für dich war – und dich so mehr an dieser Zeit teilhaben lassen. Vanille, Kardamom, Nelken oder Zimt geben Alltäglichem eine ganz besondere Note, die dich bei dir ankommen lässt. Nach Tanne duftende Kerzen oder Öle sind ebenso wohltuend und verwandeln deine Stimmung auf ganz zarte, aber eindrückliche Weise.
DRITTENS …
Tauche in Geschichten ein, die glücklich machen. Vielleicht liest du gerne oder schaust lieber Filme. Es gibt unzählige wunderschöne Bücher oder Filme über den Zauber, der Weihnachten heißt. Mach' es dir mit einer Decke gemütlich und fange an, zu träumen. Du darfst in ferne Welten entfliehen. Selbst wenn du hinterher das Gefühl hast, dich mit den Charakteren vergleichen zu müssen und traurig bist, dass dein Leben eben nicht so wunderschön schnulzig ist – die Zeit, in der du abschweifst, bringt dich auf andere Gedanken und lässt dich zur Ruhe kommen. Und schließlich bleibt immer etwas vom Zauber eines Happy Endings in uns zurück, auch wenn uns das nicht so bewusst ist. Hinzu kommt: Je öfter du dich dem Gefühl hingeben kannst, dass es dir auch so gehen könnte, wie den Protagonisten eines Buches oder Films, desto eher schaffst du eine Energie, die dich genau dorthin führt.
VIERTENS …
Solltest du dank deiner Familie in der Situation sein, dass dein Haus gefüllt ist mit Plätzchen, Christstollen und Lebkuchen, und du all' dies immer und immer wieder unkontrolliert essen musst, dann lass' es zu. Du musst jetzt nicht entscheiden, ob du mit einer Recovery beginnst. Du musst nicht vollends loslassen. Aber du darfst das Essen essen, ohne Reue zu empfinden. Du darfst heute, hier und jetzt diese Leckereien essen – auch unkontrolliert. Du darfst! Lass' es zu und nimm' dir vor, dich nach Weihnachten mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen. Mit jedem unerwünschten Essanfall schwindet dein Vertrauen in dich und deine Macht. Mit jedem unerwünschten Essanfall nimmst du dir das schöne Gefühl der Vorweihnachtszeit. Schenke diesen Anfällen deshalb ein anderes Anlitz: Sie sind nicht schlecht! Sie sind gut! Es sind die Zeichen deines Körpers, endlich das zu bekommen, was ihm zusteht und was er braucht. Sie schützen dich! Schränke dein Essverhalten deshalb nicht ein, wenn du einen Anfall hattest. Iss' weiter. Nach Weihnachten ist genug Zeit, um darüber nachzudenken, wie du weiter vorgehen kannst und möchtest. Gönne dir diese Zeit. Du hast es verdient! Die wenigen Kilo, die du VIELLEICHT dadurch zunehmen wirst, sieht niemand, außer dir.
FÜNFTENS …
Ein sehr einfacher und guter Weg, Liebe zu spüren, ist, Liebe zu geben. Weihnachten ist die perfekte Zeit, um diese in die Welt zu tragen. Es gibt viele Mittel und Wege, dies zu tun.
Vielleicht bist du finanziell gut aufgestellt, dann lohnt es sich, über eine größere Spende nachzudenken. Informiere dich genau und nimm' dir Zeit für die Suche. Wenn du eine Organisation, ein Verein oder ein Projekt unterstützen kannst, die/der/das das Leben auf dieser Welt ein klein wenig schöner macht und dir direkt aus dem Herzen spricht, dann wird auch dir diese Spende ein Geschenk sein.
Eine weitere sehr schöne Möglichkeit ist, Karten zu schreiben. Ich meine keine Familienfotos mit Weihnachtsmannmütze und einem aufgedruckten "Fröhliche Weihnachten!". Ich meine eine einfache, handgeschriebene Karte mit mehr als fünf Sätzen. Suche dir die Menschen aus deinem Leben aus, die eine solche Karte verdient haben. Denke dabei nicht zu groß und schraube die von dir projizierten Erwartungen runter. Die größte Freude machen Worte, die aus deinem Herzen kommen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein DANKE zur rechten Zeit kann Pole schmelzen lassen.
Was ich einmal während meiner Zeit als – damals noch kinderlose – Essgestörte getan habe: Ich habe jede Menge Plätzchen gebacken und sie per Post an liebe Menschen verschickt. Der Grund war der, dass ich unbedingt backen wollte, mich die Menge aber überfordert hatte. Also hatte ich mir nur wenige Plätzchen dabehalten und alle anderen verschenkt. Die Freude bei den Empfängern war groß und mir hatte es tatsächlich geholfen, positive Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen …
Vielleicht fällt dir etwas anderes ein. Nimm' dir die Zeit, darüber nachzudenken. Du bekommst sie doppelt und dreifach in Form von warmen Gefühlen zurück. Versprochen.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du es schaffst, die nächsten Tage bis zum Fest und das Fest selbst ein wenig genießen zu können. Setze dich nicht unter Druck. Manchmal hilft schon ein einziger schöner Moment am Tag, um deine Geschichte umzuschreiben. Sei offen für den Zauber der Lichter, der Düfte und Klänge. Und freue dich über jeden einzelnen kurzen Moment, in dem du spürst, dass es dir trotz aller Umstände gut geht. Diese Momente sind es, die uns zeigen, wie schön das Leben ist.
Ich umarme dich aus der Ferne, dich, wer auch immer du bist … Du bist ein einzigartiger, wundervoller Mensch, der es verdient hat, sich selbst zu lieben.
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