Der Countdown läuft, Silvester steht vor der Tür. Leider ist in diesem Jahr alles anders. Die große Party fällt flach, das besinnliche Anstoßen muss ausreichen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir alle mit einem mulmigen Gefühl hin zu dieser Silvesternacht lugen. Und dabei ist auch völlig egal, wie wir bisher unseren Jahreswechsel gefeiert haben – ob in großer Runde mit lautem Gedöns oder im kleinen Kreis mit herzlichen Gesten. Heuer macht uns ein Virus einen Strich durch unsere Pläne. Umso größer sind wohl die Erwartungen für das neue Jahr.
Und da kommen wir auch schon zu den allseits beliebten und sehr berühmten Silvester-Vorsätzen, die ja bekanntlich mit großen Erwartungen einhergehen. All' das, was wir während des Jahres nicht geschafft haben, soll nun in einer (am besten sternenklaren,) metapherstarken Nacht wie durch ein Wunder transformiert werden in Aktionismus und Durchhaltevermögen. Wirklich interessant, dass da ein Scheitern vorprogrammiert ist und dennoch so gut wie jeder von uns schon dieser Ego-Verballhornung auf den Leim gegangen ist. Denn: Haben wir es ein ganzes Jahr – oder gar ein ganzes Leben – nicht geschafft, etwas zu tun, was wir gerne tun würden, dann kann auch kein Zauber einer Silvesternacht diese Fehlmotivation in uns ummünzen. Wie auch?
Ich bekomme jetzt endlich meine Krankheit in den Griff.
Ich höre auf zu rauchen.
Ich achte jetzt auf eine gesunde Ernährung.
Ich werde endlich abnehmen/zunehmen.
Ich werde jetzt mal so richtig durchstarten und Karriere machen.
Ich gehe ab sofort mindestens dreimal die Woche joggen.
Das sagt unser Ego. Und unser Unterbewusstsein lehnt sich genüsslich zurück, lässt ein, zwei, vielleicht auch drei Wochen alles mit sich machen und kehrt dann mit einem erleichterten Seufzer zurück zu Altbekanntem. Schließlich ist der gelernte Weg der sichere Weg. Und Sicherheit steht ja schließlich über allem.
Denn: Warum haben wir geraucht/eine Suchterkrankung/ein Bewegungsdefizit/einen Mangel an Selbstbewusstsein in puncto Karriere? Weil es uns schützt. Weil wir uns unterbewusst dazu entschlossen haben, uns von etwas abzulenken, womit wir glauben, nicht umgehen zu können. Weil wir uns irgendwann in der Vergangenheit entschieden haben, uns zurückzuziehen und eine Mauer um unser Herz zu bauen – aus welchen Steinen auch immer sie errichtet wurde – Krankheit, Lethargie, Sucht.
Wir geben uns also nach diesen anfangs sehr motivierten und im besten Fall mehr als drei Wochen völlig frustriert dem Alten hin und denken von uns selbst, wir seien der letzte Versager. Dabei war von Beginn an klar, dass ein Vorsatz und somit eine kognitive Entscheidung nun einmal keine Veränderung mit sich bringt. Eine Veränderung bringt einzig und allein das Auflösen von alten Glaubenssätzen und das ständige, stete Wiederholen neuer Verhaltensweisen, die auf neuen Glaubenssätzen fußen.
Was also ist der einzig sinnvolle Neujahrsvorsatz?
Ich nehme mir nichts vor, als so oft es geht auf mich zu achten.
Das ist das einzige, was garantiert nicht frustriert und was mit Sicherheit für jeden von uns erfolgreich umzusetzen ist: Sobald uns bewusst wird, dass neben all' den Gedanken, die uns durchströmen und die uns fast nonstop in die Vergangenheit ("Was habe ich nur falsch gemacht?") oder Zukunft ("Wie soll ich das alles nur schaffen?") katapultieren, auch ein Leben im Hier und Jetzt existiert, kurz innehalten und die Frage aller Fragen stellen: Was brauche ich gerade? Das war's. Mehr nicht. Die Antwort kommt in Sekundenschnelle. Und kaum ist sie da, spüren wir, wie weise wir eigentlich sind – und wie selten wir auf unser Inneres hören.
Was viele von uns nicht akzeptieren wollen, ist, dass wahrhaftige Veränderung lange braucht. Sie kommt heimlich, still und leise. Sie passiert. Sie ist keine Kausalität à la Ich-tue-jetzt-was-und-dann-ist-sie-da. Nein. Sie schwebt über uns, unter uns, neben uns, in uns, so lange wir uns uns selbst zuwenden. Und je mehr wir an uns arbeiten, alte Glaubenssätze auflösen, neue formulieren, desto mehr zeigt sie sich in Form von kleinen unbewussten Handlungen und Reaktionen, über die wir uns wundern ... wie zum Beispiel "Konnte ich gerade wirklich ruhig bleiben, obwohl ich in solchen Situationen innerlich immer so gebrodelt habe?" oder "Habe ich gerade wirklich mehr Lust auf eine kurze Yoga-Session anstatt auf eine Zigarette?"
Steter Tropfen höhlt den Stein. Das müssen wir akzeptieren. Aber wie wunderbar ist das Gefühl, durchgehalten zu haben, sich immer mehr um das eigene Wohlergehen gekümmert zu haben – und rückblickend Fortschritte zu erkennen.
Es ist also völlig egal, ob in zwei Tagen das Neue Jahr 2021 anbricht. Dieses Jahr ist ein Jahr wie jedes andere auch, ein Jahr mit Höhen und Tiefen, mit Glück und Leid, mit Vertrauen und Angst. Wenn du eine Veränderung in deinem Leben möchtest, dann fange heute an, auf dich zu hören. Beginne damit, immer wieder kurz innezuhalten und dich zu fragen, was du dir Gutes tun kannst. Wie du dich fühlen möchtest und was du wirklich brauchst in diesem Moment, um genau das zu erreichen.
Irgendwann kommst du an den Punkt, an dem du spürst, dass du etwas Grundlegendes verändern musst, um näher an dich heranzukommen. Das ist der Moment, an dem du zurück in die Vergangenheit reisen wirst, um deine inneren Stimmen zu erforschen. Du wirst deine Verhaltensmuster erkennen, herausfinden, wann du in deinem Leben wie verletzt worden bist und warum du immer so reagierst, wie du nun einmal reagierst. Dann erst wirst du verstehen, warum du diese destruktiven Verhaltensweisen angenommen hast, die dich über viele, viele Jahre vor weiteren Verletzungen geschützt haben. Sobald du dieses Wissen hast, kannst du den Mut aufbringen, tief durchzuatmen und zu springen – und dieses destruktive Verhalten step by step ad acta zu legen. Keinen Atemzug vorher.
Ich wünsche dir von Herzen, dass du verstehst, dass 2021 ein weiteres Jahr mit weiteren 365 Tagen ist, an denen du für dich da sein kannst – ganz egal, welche äußeren Umstände dich beeinflussen werden. Nutze das Wissen, dass das Hier und Jetzt immer zu meistern ist und dir Frieden und Geborgenheit schenkt, wenn du es nur zulässt. Verrenne dich nicht in Vorsätze und Erwartungen, die dich für den Moment glücklich stimmen, dich aber in wenigen Tagen oder Wochen sehr enttäuschen werden. Akzeptiere, dass dieser Lock-down zwar eine Herausforderung ist, dir aber auch die Möglichkeit gibt, innerlich zu wachsen. Nimm' das Leben an, wie es ist – und mach' das Beste draus.
Keep smiling!
Keep growing!
Keep living!
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