Dieser Beitrag wird ein emotionaler. Das merke ich daran, dass ich ihn schon mehrere Wochen vor mir herschiebe. Dabei ist bei mir ja "emmer noch allet joot jejange", wie das Kölsche Grundgesetz so schön sagt. Zwei zuckersüße Kinder durften auf verschiedenen Umwegen in mein Leben sausen, wofür ich jeden, ja, wirklich jeden Tag bewusst dankbar bin.
Denn: Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn man jahrelang versucht, schwanger zu werden, aber nur gefühlte hunderte negative Schwangerschaftstests in den Händen halten muss. Denn so schön der Kinderwunsch ist, so schwer ist es, Monat für Monat auszuhalten, dass er nicht in Erfüllung geht. Immer und immer wieder, während sich nebenan die Störche vor den Hauseingängen lustig munter vermehren, als wäre nichts dabei und es das Normalste der Welt, dass Frauen nun eben einmal Kinder bekommen.
Ist es aber eben nicht. Vor allem nicht, wenn frau essgestört ist.
Wie war das bei mir?
Mein Mann und ich hatten uns 2009 entschieden, gemeinsam ein Kind zu bekommen. Damals hatte ich gerade die Diagnose Morbus Crohn inklusive Krankenhausaufenthalt und wochenlangem Schub hinter mir und war entsprechend dünn geworden. Das Dünnsein wiederum hatte meiner Essstörung sehr in den Kram gepasst: Ich hatte (wieder einmal) angefangen, akribisch darauf zu achten, nichts zu essen, was "meinem Darm schaden könnte". Dazu zählten damals Fett, Laktose, blähende Lebensmittel. Was übrig blieb? Hmmm, ich erinnere mich an Marmeladenbrote ohne Butter, Honigmelone und Vollkornnudeln mit Tomatensoße ohne Öl und in mikroskopischen Mengen. Meine Periode hatte ich quasi schon vergessen, wenn sie kam, dann im Geburtstagsabstand. Meine Ernährung war zu dieser Zeit schon fünf Jahre essgestört und restriktiv.
Dass ich also nicht – wie so viele junge Frauen um mich herum – auf einmal und ganz unerwartet ("Nein, wirklich, wir hätten NIE damit gerechnet, dass es schon beim ERSTEN MAL klappt. So was aber auch!") schwanger wurde, versteht sich von selbst. Ohne Periode keine Schwangerschaft, das war mir klar. Also packte ich meine Koffer und machte mich auf die lange Reise der Kinderwunschindustrie. An dieser Stelle halte ich mich kurz und fasse zusammen: neben Bauchspiegelung dank diagnostizierter Emdometriose und PCO-Syndrom war sogar eine Kinderwunsch-DVD mit Mediation einer Heilpraktikerin für schlappe 38 EUR mit im Gepäck! Und? Nichts passierte, außer, dass mich die zusätzlichen Hormone plus die Immunsuppressiva mental sehr belasteten und meine Essstörung schlimmer und schlimmer wurde. In 2012 waren dann auch wieder die Essanfälle da, nachdem ich es tatsächlich geschafft hatte, ganze zwei Jahre lang strikt Morbus-Crohn-"freundlich" zu essen.
Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie es mir ging. Ich fühlte mich wie eine Null: dick, oval und ohne Inhalt im Bauch. Denn, da machen wir uns nichts vor: Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch haben irgendwann nicht mehr das Gefühl, Frau zu sein. Die Weiblichkeit ist so weit weg wie die Vorstellung davon, irgendwann dann doch noch ein eigenes Kind im Arm zu halten. Die Tatsache, dass die selektive Wahrnehmung zusätzliche Spielchen mit mir getrieben und ich ausschließlich dicke Bäuche und Kinderwagen vor Augen hatte, tat ihr Übriges.
Rückblickend kann ich heute sagen: Wie gut, dass die Essanfälle zurückgekommen waren. Denn auch wenn sie mir damals den psychischen Rest gegeben hatten, so brachten sie mir die notwendigen zusätzlichen Pfunde, die ich wohl gebraucht hatte, um dank viel, viel medizinischer Unterstützung doch noch schwanger zu werden. Schlappe vierdreiviertel Jahre hatte ich gebraucht, um endlich die Botschaft aller Botschaften zu hören: "SIE SIND SCHWANGER".
Ich, 10 Sekunden nach dem allesentscheidenden Anruf Anfang Dezember 2013.
Die Schwangerschaft war ein Glücklich-Sein der besonderen Art. Nicht nur, dass ich es plötzlich schaffte, ohne Essanfälle (dafür aber mit striktem Mahlzeitenplan) auszukommen. Nein, ich fühlte mich sogar rundum wohl in meinem immer runder werdenden Körper. Die Geburt meines Sohnes inklusive Plazentaablösung und Ohnmacht war dann leider alles andere als einfach. Dennoch war dieser Tag der mit Abstand Schönste meines Lebens. Entschuldige, liebster Ehemann, ja, die Hochzeit war auch bombastisch.
Wie ging es danach weiter?
Die ersten Monate mit Kind und Selbstständigkeit waren sicherlich kein Zuckerschlecken, dennoch fühlte ich mich ganz, stark und heil. Mit der Zeit und dank meinem sehr disziplinierten Essverhalten kamen aber die Anfälle und das ausgleichende noch restriktivere Essverhalten zurück. Meine Periode war selterner Gast im Haus. Das wiederum machte mir nichts aus, schließlich hatte ich alles, was ich mir erträumt hatte: ein gesundes Kind und einen liebevollen Ehemann, der sich nun auch als unfassbar toller Vater entpuppte. Die Essanfälle waren alles, was ich noch in den Griff bekommen musste. Mein Weg führte mich also in die Orthorexie und ich begann, mich auf die zuckerfreie Ernährungsform zu stürzen, die Genesung versprach. Angefixt wurde ich übrigens von dem Buch "Bulimie und Zucker". Es machte für mich Sinn: Zucker ist der Feind schlechthin und wenn ich ihn aus meinem Leben lasse, dann kann ich ja nur als Sieger aufs Treppchen steigen.
Ich muss dir nicht sagen, dass das leider nicht der Fall war. Die Essanfälle kamen natürlich wieder zurück. Und mit ihnen und der vergangenen Zeit – mein Kleiner war inzwischen drei Jahre alt – mein Wunsch, noch einmal Mama zu werden. Da wir aber bereits glückliche Eltern waren, war dieser Wunsch mehr ein "Es wäre so schön, wenn ..." als ein "Mein Leben hat keine Bedeutung, wenn nicht ...". Dennoch machte mir die Tatsache, dass meine Periode sehr unregelmäßig kam, sehr viel aus. Kam sie nicht, dachte ich, ich sei vielleicht schwanger und hatte plötzlich große Hoffnung, kam sie, war ich desillusioniert und tieftraurig. Dieses Gefühlsauf und -ab war so anstrengend, dass ich schlussendlich für mich entschied, nicht wieder schwanger werden zu wollen – mit trauriger Akzeptanz meines Mannes. Anstatt dessen konzentrierte ich mich darauf, wieder Ina zu werden und meine Freiheiten zu leben. Der Kleine war inzwischen groß genug, ihn auch mal für zwei Nächte zur Oma zu geben und so machte ich mich regelmäßig auf in meine über alles geliebten Berge, um freezuriden und dem Himmel wieder nah zu sein.
Anfang Januar 2018 kam ich dann an den Punkt, an dem ich endlich beschloss, vollends los und meine Essstörung endlich hinter mir zu lassen. Du kennst die Geschichte. Ich aß und aß und aß. Innerhalb von vier Wochen kam meine Periode in mehr als regelmäßigen Abständen, nach genau zwei Zyklen blieb sie dann aus. Und ich? Hatte das Schwangerwerden so gar nicht mehr auf dem Schirm und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen soll, als ich den allerersten positiven Schangerschaftstest meines Lebens in den Händen hielt.
Schließlich hatte ich mich die letzten sechs Monate zuvor so dermaßen darauf konzentriert, mit nur einem Kind und meiner neu gewonnenen Freiheit rundum zufrieden zu sein, dass mich die Tatsache, nun doch wieder in die Mama-Rolle zu schlüpfen, umhaute. (Warum es trotz Endometriose geklappt hat, weiß ich bis heute nicht.) Die fortschreitende Schwangerschaft inklusiver aller Hormone brachte mich bis vor der Geburt meiner Tochter 2019 dann tatsächlich noch einmal aus dem Gleichgewicht. Ich hatte das Gefühl, ein Leben mit zwei Kindern nicht bewältigen zu können. Als die kleine Stinknudel dann endlich da war, war alles gut. Happy end sozusagen. Diesmal inklusive Plazenta in Herzform und Glückshaube. Unfassbar, dieses Universum ...
Und heute? Jongliere ich als Doppelmama und Selbstständige durch den Alltag. Ich habe gute Tage, ich habe schlechte Tage. Vor allem aber: Ich vertraue auf meine Stärke, ich vertraue meinem Körper und ich vertraue dem Leben. Und bin dem Essen dankbar, dass ich nun ein Dasein führe, von dem ich immer geträumt hatte – inklusive aller Unpässlichkeiten, die mich wachsen und noch stärker werden lassen.
Mein gutgemeinter Appell an dich.
Solltest du betroffen sein, dir ein Kind wünschen und eine Essstörung haben, dann kann ich dir nur ans Herz legen: Iss'. Sobald dein Körper die Energie hat, die er zum Leben (und nicht zum Überleben) braucht, kommen Energien ins Rollen, von denen wir Normalsterbliche keine Ahnung haben. Energien, die selbst Ärzte nicht begreifen geschweige denn benennen können.
Ich wünsche dir von Herzen, dass es dir irgendwann einmal geht wie mir. Dass du deine manifestierten Träume leben kannst und alles rückblickend wie selbstverständlich aussieht. Denn glaube daran: Du kannst alles erreichen, was du dir wünschst. Und ja, du hast die Kraft dafür. Du hast es geschafft, auf diese Welt zu kommen und durchzuhalten. Du wirst auch alles andere schaffen.
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