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Eine Erfolgsgeschichte: ein Leben in Freiheit – nach 50 Jahren.

Ihr Lieben, heute habe ich etwas ganz, ganz Besonderes für euch. Es ist die Geschichte von einer wundervollen Frau, die sich vor knapp zwei Monaten bei mir gemeldet hatte. Wie viele war sie spontan auf meinen Blog gestoßen – und hatte sich wie manche getraut, mich anzuschreiben.


"Liebe Ina, durch Zufall bin ich auf deinen Blog gestoßen. Ich bin 65 Jahre alt, Yogalehrerin, verheiratet und habe zwei erwachsene Töchter. Seit 50 (!) Jahren kämpfe ich mehr oder weniger mit den Zwängen einer Essstörung. Jetzt spüre ich zum ersten Mal die Hoffnung, meine verlorengegangene Kraft wiederzufinden. Ich bin dir unendlich dankbar! Herzliche Grüße, XYZ."


Ich war fassungslos, als mich Ihre Nachricht erreichte: Eine Frau mit 65 Jahren und 50 Jahren Essstörung im Gespäck liest meinen Blog und will den Schritt ins Ungewisse wagen, um endlich gesund zu werden? Meine Wut der deutschen Therapielandschaft gegenüber stieg von jetzt auf gleich ins Unermessliche. Wie konnte es verdammt nochmal sein, dass diese Frau bisher keine wirkliche Hilfe bekommen hatte? Wie konnte es sein, dass sie gerade mein Blog dazu inspirierte, endlich den Weg in die Freiheit zu gehen? Ich antwortete ihr sofort – und wir blieben im regen Austausch. Mit jeder Mail von ihr stand mehr und mehr für mich fest, dass sie ihren Weg gehen wird. Dass sie nach all' der unfassbar langen Zeit gesund werden wird.


Ich bin unfassbar stolz darauf, ihre Geschichte mit euch teilen zu dürfen. Sie wünscht sich, dass sie Inspiration für andere ist, die schon so viele Jahre kämpfen und nicht mehr an Genesung glauben. Ich bin mir zu 200 % sicher: Das wird sie sein. Lest selbst – und habt bitte Verständnis dafür, dass sie anonym bleiben möchte. Von Herzen, eure Ina.



Die Geschichte meiner Essstörung.


Elf Jahre nach Kriegsende komme ich in einem kleinen Dorf in Hessen zur Welt. Ich wachse auf mit einem über alles geliebten, älteren Bruder, mit Oma und Opa unten im Haus, die andere Oma gleich nebenan, mit einem herzensguten, aber sehr schüchternen Vater, der sich auf seinen Obstäckern am wohlsten fühlt, und mit einer unglücklichen Mutter, die ihre schlesische Heimat verloren hat.


„Das Kind lebt von Luft“, diesen Satz höre ich oft in meiner Kindheit. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – sie ist immer so empfindlich“, das sind andere vertraute Worte. In der

Volksschule gibt es Milch und Kakao in der großen Pause, damit wir Nachkriegskinder genügend Kalzium bekommen. Ich hasse es – die Schule und die eklige Milch. Ich bin am liebsten zu Hause und spiele mit meinem Bruder im Hof und auf den Feldern. Im Gymnasium später gute Jahre, ich habe „beste“ Freundinnen, das Lernen fällt mir leicht. Dann, mit 13, 14, wird es schwierig. Plötzlich werde ich rot, wenn mich Lehrer ansprechen. Mein Körper verändert sich. Meine Mutter kauft mir einen steifen BH und ein Paket Binden. Ich schäme mich. Ich fühle mich komisch und falsch. Meine Freundinnen bilden Cliquen, ich bleibe außen vor. Ich finde mich hässlich, bin unendlich einsam und ziehe mich zurück in mein Zimmer unter dem Dach.


Mit 16 dann die Idee, eine „Abmagerungskur“ zu machen. Vielleicht bin ich dann beliebter und finde einen Freund? (Ich schaue mir Fotos aus dieser Zeit an und staune über die Schönheit des jungen Mädchens. Ich möchte sie in den Arm nehmen und ihr sagen: Du bist perfekt! Dein Körper ist wunderbar!). Binnen eines Jahres verliere ich über ein Drittel meines Gewichts. Meine Eltern geraten in Panik. „Was hat sie?“ (Mein Vater). „Wie kann sie mir das antun?“ (Meine Mutter). Ich habe keine Idee, was eigentlich mit mir los ist. Ich weiß nur, dass ich an meinem Zustand selbst schuld bin. Ich will essen und kann es nicht mehr. Ich bin verzweifelt und verängstigt. Essstörungen sind damals kein Thema, es gibt keine entsprechenden Kliniken oder Therapien. Schließlich bin ich sechs Wochen lang in einer psychosomatischen Klinik, eine Exotin, mit der niemand so recht etwas anzufangen weiß. Ich nehme ein bisschen zu, bin zumindest außer Lebensgefahr.


Dann ein schnelles Abitur und der überstürzte Entschluss, in einer süddeutschen Kleinstadt Jura zu studieren. Im ersten Jahr sind mein Heimweh und das Gefühl völliger Verlassenheit

unerträglich. Noch immer bin ich sichtbar krank. Mehr als einmal werde ich für einen Jungen

gehalten, nicht älter als 15, der sich an die Uni verirrt hat. Mein streng reglementierter

Essensplan, den ich mir selbst gestrickt habe, gibt mir Halt. Ich komme allein klar, und darauf bin ich stolz. Das Jura-Studium entpuppt sich gleich am ersten Tage des Semesters als

Fehlentscheidung. Aber ich will es durchziehen, eine Alternative sehe ich nicht, und meine Eltern darf ich auch nicht enttäuschen. Mein großer Bruder bereitet ihnen schon genug Sorgen, da will zumindest ich alles gut machen.


Ich finde Freundinnen, und endlich auch den ersten Freund (ich bin schon 19, es wird Zeit!).

Nach wie vor fühle ich mich sonderbar, fremd und „anders“. Also schaue ich mir an, wie junge Leute meines Alters leben und versuche, sie nachzuahmen. Ich lerne, wie man sich berührt und umarmt. Ich lerne das lockere Plaudern und das Streiten über politische Themen. Ich lerne, in WGs zu leben, das Bad mit fünf Mitbewohnern und den Freund mit einer anderen Frau zu teilen. Ich kopiere alles. Nur an meinem Essverhalten, meinen abgezählten Knäckebroten und heimlichen Völlereien (bestehend aus Eischnee mit Zucker…) halte ich fest.


Nach ein paar Jahren bestehe ich mehr schlecht als recht das Examen. Mein Gewicht hat sich mittlerweile in einem normalen, unauffälligen Bereich eingependelt. Nach dem Ende des Studiums bin ich ratlos. Wie soll es weitergehen? Ich suche mir einen neuen Ort auf der Landkarte und beginne mein Referendariat im Norden Deutschlands. Die Großstadt überfordert mich. Ich kenne niemanden, und die Ausbildungsstationen im Gericht, in der Behörde und bei einem Anwalt ängstigen und verschrecken mich. Ich beginne zu essen, kaufe mir große Packungen mit Keksen im Supermarkt und Tüten voller Kuchen beim Bäcker, schlinge alles in mich hinein, noch im Treppenhaus zu meinem WG-Zimmer, dort, wo mich niemand sieht. Am späten Nachmittag liege ich stumpf und sediert auf meinem Bett, warte darauf, dass ich schlafen kann und fürchte mich unfassbar vor dem nächsten Tag beim Gericht, wo ich wieder so tun muss, als sei ich souverän, klug und stark.


Ich besuche meine Eltern. Meine Mutter mustert mich. „Pass auf“, sagt sie. „Irgendwann kannst du nicht mehr aus den Augen gucken“. Ich kapiere es nicht gleich. Ich bin fett geworden und habe Schweinsäuglein, das meint sie wohl. Es verletzt mich tief. Aber wie immer: Ich bin ja selbst schuld daran, dass ich so dick geworden bin, ein willenloses, undiszipliniertes Schwein. Sie hat recht.


Die Referendarszeit geht zu Ende, das zweite Examen liegt hinter mir. Jetzt bin ich Volljuristin, und die Welt steht mir offen. Ich will weit weg gehen und alles hinter mir lassen. In Portugal verliebe ich mich. Ich lebe zwei Jahre lang auf einer Farm, steige jeden Morgen in meine Gummistiefel und arbeite hart. Die Gedanken an Essen rücken in den Hintergrund. Ich esse, weil ich hungrig bin und höre auf, wenn ich satt bin. Doch der Traum vom Auswandern zerplatzt. Mein Freund ist depressiv, greift immer häufiger zur Flasche, und ich kann ihn nicht retten. Schließlich muss ich mich selbst retten und kehre zurück nach Deutschland. Ich bin fast dreißig, was soll ich anfangen mit dem Rest meines Lebens? Die Essstörung ist wieder präsent. Mein Gewicht ist im Normalbereich, man sieht mir nichts an. Ich esse wenig zu den Hauptmahlzeiten und viele Häppchen zwischendurch. Ich vermeide Gekochtes und esse am liebsten allein und unbeobachtet. Ich habe große Angst davor, wieder so dick zu werden wie mit Anfang zwanzig. Ich denke IMMER an Essen. Zu jeder Tages- (und Nacht-)Zeit weiß ich, was ich in den letzten 24 Stunden gegessen habe und was ich als Nächstes essen werde. Ich fürchte mich davor, dass mich jemand anspricht auf mein merkwürdiges Essverhalten oder auf meine Figur. Ich schäme mich. Jahrzehntelang wird mich all das begleiten.


Ich begegne einem Mann, zu dem ich von Anfang an Vertrauen habe. Wir können zusammen am Tisch sitzen, essen und reden. Ich zeige mich ihm, und er hält es aus. Ich fühle mich geborgen und geliebt. Wir heiraten, ziehen zusammen. Ich wünsche mir sehr ein Kind, doch die Frauenärztin macht mir wenig Hoffnung: „Ihre Regelblutung ist seit Jahren unregelmäßig, ohne hormonelle Unterstützung wird das schwierig mit dem Eisprung“, teilt sie mir mit. Wenige Wochen später bin ich schwanger. Große Freude, und sehr bald große Übelkeit, die monatelang anhält. Doch irgendwann ist sie vorbei, das Essen ist so leichtfüßig wie seit Jahren nicht mehr (viiiel Schokolade…), und ich bin stolz auf meinen sich rundenden Bauch. Das kleine Mädchen kommt mit neun Pfund auf die Welt, eine ernste, sehr eigene Persönlichkeit.


Das erste Jahr ist anstrengend. Ich fühle mich einsam und überfordert, als Mutter (und Ehefrau) komplett unfähig. Drei Jahre später wird die kleine Schwester geboren. Dieses Mal hält die Übelkeit bis zum neunten Monat an. Ich nehme wenig zu und bin insgeheim froh darüber. Zu meiner Überraschung fühlt sich das Leben mit zwei kleinen Kindern viel leichter an. Die beiden sind sehr schnell ein Team, mein Mann ein hingebungs- und liebevoller Papa, und ich entspanne mich ein bisschen. Ich gebe meinen ungeliebten Beruf auf und mache eine Ausbildung zur Yogalehrerin. Ich gewinne Routine in meinem Leben als Mutter, Ehefrau und Selbstständige. Doch die Essstörung ist nicht verschwunden. Das restriktive, kontrollierte Essen, die Angst dick zu werden und die Scham darüber begleiten mich.


Mittags koche ich für meine Töchter, sie mögen mein Essen. Für mich gibt es über Jahre eine Schüssel Salat. Manchmal beschleicht mich ein angstvoller Gedanke: Was ist, wenn sie irgendwann fragen, warum Mama immer nur Salat isst? Aber sie fragen nicht. Ich bin ja auch nicht mehr magersüchtig, sage ich mir. Das sind nur die Überbleibsel meiner pubertären Essstörung, keine große Sache. Zwei Wochen nach meinem 50. Geburtstag stirbt meine Mutter. Ich spüre nichts. Keine Trauer, keine Wut, gar nichts. Nach dem Tod meines Vaters, acht Jahre zuvor, habe ich monatelang geweint. Doch jetzt fühle ich mich wie ein Zombie. Plötzlich der Gedanke: Ich brauche Hilfe. Jahrzehnte habe ich mich alleine durchgewurschtelt, einen Weg gefunden, mit Essstörung und Depressionen klarzukommen und zu leben. Fast zehn Jahre lang gehe ich zu einer Therapeutin. Unfassbar, aber das Thema Magersucht berühren wir fast nie. Meine Scham erlaubt es nicht. Ich grabe meine gesamte Kindheit um, aber es geht mir nicht wirklich besser. Mir ist einfach nicht zu helfen. Vielleicht bin ich zu alt.


Einige Monate nach dem Tod meiner Mutter, kurz vor Beginn der Sommerferien, steht unsere jüngere Tochter im Wohnzimmer und schaut kritisch an sich herunter. Sie ist 16. „Mein Bauch ist zu dick, der muss weg, sonst kann ich nicht an den Strand“, sagt sie. Ich bin alarmiert. Ich sage nichts, bloß keine schlafenden Hunde wecken. Sie isst weniger. Nascht nicht mehr, frühstückt nur noch ein bisschen Obst. Sie verliert sehr schnell Gewicht. Sie verkriecht sich in ihrem Zimmer, lernt ununterbrochen für die Schule und friert. Im Winter kommt sie zu mir und weint bitterlich. „Mama, die Stimme in meinem Kopf, die mir das Essen verbietet, hat jetzt schon 90 Prozent besetzt“. Ambulante Hilfen scheitern, wir suchen eine Klinik für sie. Unsere Tochter wehrt sich mit Händen und Füßen, sie will nicht fort von zu Hause. Aber unsere Angst, dass sie stirbt, ist so unfassbar groß. Ich trinke jeden Abend, um zumindest ein paar Stunden schlafen zu können. Wir bringen sie in die Klinik. Auf dem Rückweg parken mein Mann und ich auf einem Waldweg und klammern uns weinend aneinander. Es ist der dunkelste Tag meines Lebens. Nach fünf Monaten kommt sie nach Hause, verliert binnen sechs Wochen die gewonnenen Kilos (und noch mehr) und kehrt wieder zurück in die Klinik. Danach zieht sie sofort in eine betreute Wohneinrichtung, 100 Kilometer von uns entfernt, besucht dort die Schule, macht drei Jahre später ihr Abi. Wir sehen sie selten. Sie möchte wenig Kontakt zu uns. Ich weine mich durch die Monate und Jahre, versuche zu verstehen. Und ich versuche, mit meinem riesigen Schuldgefühl

klarzukommen.


Sehr langsam, fast unmerklich, nehme ich ab. Die ältere Tochter ist mittlerweile auch

ausgezogen. Ich bin oft alleine zu Hause. Mein Tagesablauf ist streng getaktet. Ich habe meine Aufgaben und Pflichten, meine festen Essenszeiten mit den immer gleichbleibenden

Lebensmitteln, ich gebe meine Kurse, und vor allem warte ich darauf, dass es endlich Abend

wird und ich schlafen kann. Immer wieder versacke ich in dunklen Löchern, ein Gefühl, als würde sich grau-schwarzer Nebel auf mich senken und mich niederdrücken. Letztendlich geht unsere jüngere Tochter ihren Weg. Zehn Jahre nach Beginn ihrer Essstörung

lernt sie ihren Freund kennen. Sie will gesund werden, ihre Regel bekommen, irgendwann

schwanger werden. Und dann beginnt sie zu essen, viel zu essen, und es geht ihr immer besser, in jeder Hinsicht. Ich bin tief beeindruckt von ihrem Mut und ihrer Stärke, und ich bin unfassbar stolz auf sie. Vor vier Wochen hat sie ihren Freund geheiratet, in einem Monat wird ihr erstes Kind zur Welt kommen.


Aber nochmal zurück zu meiner eigenen Geschichte. Immer wieder sage ich mir, dass ich ein

gutes Leben habe. Ich habe einen liebevollen Ehemann, einen Beruf, der mir Freude macht,

wunderbare Töchter und ein süßes Enkelkind. Warum fühle ich mich dann seit Jahren so müde und kraftlos? Vor gut einem Jahr beginnen die Magenschmerzen. Der Arzt diagnostiziert eine Gastritis. Von allen Seiten bekomme ich Ratschläge, wie ich magenschonend essen sollte. Monatelang ernähre ich mich von Haferbrei und gekochtem Gemüse. Die Schmerzen werden immer stärker. Ich rutsche ins Untergewicht. Ich friere mich durch den Winter, mein Herz stolpert, ich kann kaum noch schlafen. Ich habe auf nichts mehr Lust und schleppe mich durch den Tag. Die essgestörten Gedanken flammen wieder auf. Ich stelle mich täglich auf die Waage und schaue mit Erschrecken und Genugtuung auf die niedriger werdende Zahl. Gleichzeitig wächst meine Verzweiflung: Ich möchte doch das Leben genießen, fröhlich sein, glücklich mit Mann, Töchtern und Enkelkind, wie geht das, verdammt nochmal? Warum habe ich so lange Therapie gemacht und NICHTS hat sich geändert? Ich bin 65, wie lange soll das noch so weitergehen, dass ich mein Leben in der Warteschleife verbringe? Warten auf die nächste „erlaubte“ Mahlzeit, auf wärmere Temperaturen, auf das Abhaken der täglichen Pflichten, auf den Abend, auf den nächsten Morgen? War´s das jetzt? Bin ich einfach alt, und dann ist das eben so?


Dann stolpere ich „zufällig“ über den Blog einer Frau, die selbst nicht mehr ganz jung ist, viele Jahre unter Essstörungen gelitten hat und ganz gesund geworden ist. Ich lese ihre Geschichte. Wie hat sie das gemacht? Sie hat einfach nur gegessen. Sehr sehr viel gegessen. Ich bin erschüttert und elektrisiert. Ich lese den gesamten Blog rauf und runter. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Wann habe ich mich das letzte Mal richtig satt gegessen? Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen, auf das ich wirklich Lust hatte? Ich bin seit vielen Jahren unterernährt (auch wenn ich nicht immer im Untergewicht war). Ich bin seit Jahren müde und energielos. Mein Körper braucht Nahrung! Ich schreibe der Verfasserin spontan eine E-Mail. Ohne nachzudenken. So etwas habe ich noch nie gemacht. Sie antwortet sofort. Ich bin mir ganz sicher: Das ist meine Chance. Ich stürze mich

einfach kopfüber hinein und esse. Wochenlang esse ich fast ausschließlich Kekse, Schokolade und weiche Laugenbrötchen mit Butter. Ich bin glücklich über jeden Bissen, der in meinen Körper wandert. Ich esse mich satt. Meine Stimmung wird besser, die Magenschmerzen verschwinden (!!), mein Herz beruhigt sich. Ich nehme zu. Die Waage ist aussortiert, aber ich registriere sehr genau, dass die Jeans zu eng werden. Mein Bauch (mein wundester Punkt, meine wichtigste Messlatte fürs „Dünn-genug-sein“) wird dicker. Ich packe die triggernden Hosen weg und kaufe mir Kleidung mit Gummizug um die Taille. Mal kämpfe ich mit der Gewichtszunahme, mal freue ich mich über meine weiblicheren Formen. (Mein Mann, der mich rückhaltlos unterstützt, freut sich auch).


Manchmal hadere ich und sehe keine Fort-, sondern nur Rückschritte. Aber dann mache ich weiter, füttere meinen Körper, schwimme und genieße die Sonne. Sollte die Lösung wirklich so „einfach“ sein? Was hat sich jetzt eigentlich geändert? Mehr gegessen und zugenommen habe ich doch früher auch immer mal wieder. Doch bis vor kurzem habe ich jeden Bissen mit dem Gedanken begleitet, dass ich auf keinen Fall dick werden darf, dass ich bei der nächsten Mahlzeit wieder Hunger haben will, oder dass ich zu viel gegessen habe und das irgendwie wieder einsparen muss. Und jetzt denke ich: Wunderbar, diese Gabel voll nährt meinen Körper, gibt mir Kraft, bringt mir meine Freiheit zurück und meine Lebenslust. Und die nächste und die übernächste Gabel auch! Früher habe ich mich geärgert und beschimpft (mit Worten, die ich nicht aufschreiben möchte), wenn die Waage mehr als am Vortag anzeigte und die Jeans nicht mehr ganz so locker saß. Heute freue ich mich. Ich freue mich, weil ich mich NUR durch das Loslassen im Essen so viel lebendiger fühle, glücklicher, weiblicher. Und ich bin stolz auf mich!


Nicht jeder Tag ist so gut. Die Angst, irgendwann als Kugel durch die Gegend zu rollen, ist nicht verschwunden. Aber ich lächle, weil es mir so unfassbar viel besser geht. Ein Geschenk, mit dem ich nicht mehr gerechnet habe, und für das ich unendlich dankbar bin.



Anmerkung: Bei dem Foto handelt es sich um ein Stock-Photo und nicht um ein Foto der Verfasserin dieser Geschichte. Für mich steht es aber sinnbildlich für das Leben, das sie heute führen kann: satt, frei, friedlich, voller Zuversicht.

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