top of page
AutorenbildIna Trouet

Intuitives Essen: alles andere als perfekt.

Aktualisiert: 7. Juni 2019

Ernährungsumstellungen sind der neueste Hype. Dazu zählt auch das Intuitive Essen. Gut verpackt geht es schlussendlich doch immer um das selbe Thema: Abnehmen! Während meinem langen Weg hin zur vollständigen Heilung bin ich gleich zweimal dem Intuitiven Essen auf den Leim gegangen. Einmal für mich, einmal sogar mit einem Online-Programm für viel Geld. Ich dachte, dass es genau das sein muss, was mich nach all' den kläglichen Versuchen von meinen Essanfällen befreien kann.


So saß ich dann am Esstisch mit meinem selbstgebastelten Regler. Wie groß war mein Hunger auf einer Skala von 1 bis 10? Durfte ich schon essen? Gab mir mein Magen denn überhaupt schon eindeutige Signale? Und wenn ich mir endlich mit einer freudigen 5 bis 6 die Erlaubnis gab, versuchte ich schon wieder in mich hineinzuhorchen, wie weit meine Sättigung denn schon fortgeschritten war – natürlich auch auf einer Skala von 1 bis 10. Von Genuss konnte da keine Rede sein … hatte ich doch gleich schon beim ersten Bissen Angst davor, wieder satt zu sein. Denn "über die Sättigung essen" war für mich gleichbedeutend mit "fett werden". Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich normalgewichtig sein darf, ohne dabei kontrolliert essen zu müssen. Ich war in meinem Denken eng wie eh und je, auch wenn ich in dieser Phase wenigstens auf das Clean Eating verzichtete und mir alles gönnte, was ich wollte: Nutellapfannkuchen, Sahnequark mit Schokostreuseln, Schokomüsli. Leider aber in homöopathischen Mengen …


Das Intuitive Essen bescherte mir also keine Genesung, sondern brachte mir nach wenigen Wochen die Essanfälle zurück. Denn: Hatte ich erst einmal "über" meine Sättigung gegessen (und die war doch sehr, sehr eng bemessen), war es – wie sollte es anders sein – "auch egal". Die Litanei Versagt! – Jetzt erst recht! – Morgen dann wieder weiter im Programm! wurde erneut gepredigt, zum gefühlten Millionsten Mal. Selbst die Meditationen rund um das Wohlfühlgewicht, das Ziel-Ich oder über Gott-weiß-was halfen nichts. Wie auch? Ich hatte Hunger, ohne es zu sehen. Ich war verzweifelt. Und die schönen, schlanken Körper derer, die für ihr Programm des Intuitiven Essens auf YouTube warben, gaben mir den Rest. Ich wollte genauso perfekt sein, und dieser Perfektionismus machte mir wie immer den Garaus.


Heute weiß ich, was intuitives Essen (und ich schreibe es hier bewusst klein und nicht als Eigenname!) bedeutet. Intuitiv zu essen, heißt: intuitiv zu essen und nicht permanent auf weiß der Himmel welche Körpersignale zu achten. In mir schreit es "Hunger", also esse ich. Ich muss mich nicht in eine Ecke setzen, die Augen schließen und abschätzen, wann genau mein Magen anfängt zu knurren (was laut Intuitivem Essen auch schon zu spät ist – Himmel, diese Bewertungen ...). Nein, ich weiß einfach, wann ich Hunger habe. Ich weiß es so, wie ich weiß, wann ich müde bin, auf die Toilette muss oder die Geburtswehen anfangen. Ich muss nicht danach googlen oder mein Gegenüber fragen. Es ist furchtbar einfach:


Ich habe Hunger, wenn ich an Essen denke, wenn ich Lust habe, zu essen!


Das ist mein Hungersignal. Und darauf höre ich. Jetzt könnten einige widersprechen: "Ja, Moment mal, was ist denn, wenn ich an einer Bäckerei vorbeigehe? Dann sehe ich das leckere Essen, denke daran, habe Lust darauf und will es auch – ob ich Hunger habe oder nicht. Und das ist doch falsch, oder?" Richtig, das ist falsch. Denn wenn ich satt bin, gehe ich an einer Bäckerei vorbei und denke keine Sekunde daran, hineinzugehen und à la Iwan Petrowitsch Pawlow mit Speichel im Mund drei Teilchen zu bestellen. Ich gehe vorbei und denke an die Wäsche, die gewaschen in der Maschine vor sich hinschimmelt, weil ich den Tag zuvor vergessen habe, sie aufzuhängen. Ich bin satt. Mein Körper braucht kein Essen. Auch das sagt er mir mit aller Deutlichkeit. Wie? Auch hier ist es denkbar einfach:


Ich bin satt, wenn ich wirklich keine Lust habe, zu essen. Oder: Wenn ich einfach nicht mehr weiteressen möchte, auch wenn es noch so lecker ist – keine Sekunde vorher.


Zum richtigen intuitiven Essen muss ich mich auch nicht hinsetzen, dreißigmal kauen und genau das essen, wonach mir gerade gelüstet. Auch das kann dogmatisch werden, wenn ich sowieso schon ein Thema mit dem Essen habe. Beim intuitiven Essen mache ich kein Theater, es ist kein Drama in drei Akten. Ich esse, mehr nicht. Ich esse auch mal etwas, was mir gar nicht so richtig schmeckt oder auf dem Weg zum Auto, um nicht mit Hunger in die Kita fahren zu müssen. Intuitives Essen ist alles andere als perfekt, es ist normal! Schau' dir die gesunden Schlanken in deiner Umgebung an. Sie sind dünn, weil sie essen und ihrem Körper immer genau das geben, was er braucht.


Als Essgestörte oder Diätgeplagte fällt es schwer, das zu glauben. Ich weiß das! Fakt ist aber: Ich lebe so und ich bin völlig normalgewichtig, trotz der Geburt meines zweiten Kindes vor 3,5 Monaten. Ich sehe genau so aus, wie es zu mir passt. Ich sehe so aus, wie ich als Kind ausgesehen habe, damals, als ich noch ganz unschuldig intuitiv gegessen habe. Ich musste es aber für mich herausfinden. Und das habe ich getan, indem ich irgendwann einfach losgelassen und "losgegessen" habe, die ersten Wochen meiner Recovery zwischen 5.000 und manchmal auch 10.000 Kalorien am Tag. Es ist erstaunlicherweise nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, ich hatte mit der Zeit den Drang, mich zu überessen, verloren. Weil ich wusste, dass ich immer das essen darf, was ich will. Immer, immer, immer. Alles in allem habe ich nur das zugenommen, was mein Körper für eine Genesung gebraucht hat.


Was ich dann tun musste, war, mich mit diesem Wohlfühlgewicht auch wirklich anzufreunden. Das funktionierte natürlich nicht, indem ich mich vor den Spiegel stellte und mir erzählte, wie schön ich bin. Kurz gelacht. Du weißt, was ich meine. Sich lieben – und ich meine: sich vollumfänglich lieben – kann man erst, wenn man sich in jeder Sekunde seines Lebens ernst nimmt, seine Bedürfnisse erfüllt und Grenzen setzt. Aber hierzu mehr in einem neuen Blogbeitrag, den ich dann schreiben werde, wenn mir mein Bauch das Signal dazu gibt …



15. Februar 2018, ca. 4 Wochen nach Start der Recovery.


Comments


bottom of page