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Trigger: Spiegel, Waage, Social Media und Co.

Aktualisiert: 25. Nov. 2021

Ja, es ist schon schwer genug, zu springen, auf jegliche Hungersignale zu hören, entsprechend zu essen und das auch noch auszuhalten. Noch schwerer aber ist es, wenn du permanent daran erinnert wirst, dass du gerade am Zunehmen bist. Und dass du in der Recovery zunimmst, ist kein Geheimnis. Schließlich gibst du deinem Körper endlich genau das, was er braucht, indem du seinen extremen Hunger nach Energie endlich stillst.


Das wirklich Fiese ist, dass diese Zunahme – so sehr sie dich auch endlich und verdammt nochmal gesund macht – schwerer ist, als alle Zunahmen zuvor. Denn: Du weißt, diesmal wird es die letzte sein. Diesmal wirst du lernen müssen, dein neues, gesundes Gewicht zu akzeptieren. Diesmal wirst du nicht wieder hungern können, um deinen Körper erneut auf dein Wunschgewicht zu bringen. Diesmal wird es endgültig sein. Mit dieser Zunahme verabschiedest du dich von deiner Wunschfigur! Bähm! Das ist hart. Ich weiß das.


Ich zum Beispiel bin damals davon ausgegangen, dass ich nach der Recovery nie wieder in meine liebste Levi's-Jeans passen würde. Ich dachte, mein Körper ist nun einmal schwerer als die der anderen, kompakter, muskulöser, breiter. Denn das war das Bild in meinem Kopf, das ich seit meiner Kindheit mit mir herumgetragen hatte. Schwer wie Blei. Die Levi's hatte ich also in die Tiefen meines Schrankes verwiesen, mit dem Vorhaben, sie einer lieben Freundin zu schenken, wenn sie mir nach zwei Jahren Recovery nicht mehr passen sollte. Und das war dann auch irgendwie o.k. für mich. Musste ja, ich wollte, musste endlich gesund werden. Und Abschied schmerzt, so ist das nun einmal.


Was mich aber zusätzlich sehr, sehr belastet hatte, waren Trigger. Reize von außen, die mich tagtäglich aus dem Gleichgewicht brachten.


Die vermaledeite Waage.


Ich wusste genau, dass ich die Waage von heute auf morgen aus meinem Leben verbannen muss, wenn ich gesund werden will. Ich wusste, dass jeder "Aufstieg" das anstrengende Erklimmen eines Berges bedeuet: Habe ich es "geschafft", ziehen dunkle Wolken auf. Keine wunderschöne Aussicht auf eine sonnige Zukunft, keine Erholungspause, stattdessen der schnelle Abstieg mit höchster Gefahr im Verzug. Schließlich zeigte mir die Zahl immer, aber wirklich immer, dass ich ein Versager bin. War sie niedriger als gedacht, kam sofort die Panik, dass ich dieses Gewicht sowieso nicht halten kann (eben weil ich ein Versager bin), war sie wie gedacht, war ich frustriert, weil ich mir weniger erhofft hatte (und somit versagt hatte), war sie höher als gehofft, fühlte es sich an wie das Versagen pur. Ich, die Frau, die wirklich gar nichts auf die Reihe kriegt. Der Wunsch, einfach "nicht mehr da zu sein", klopfte an meinem Bewusstsein an.


Mit der Entscheidung zu springen, kam also auch rasch die Entscheidung, die Waage in den Mülleimer zu werfen. Und ja, das hatte ich dann auch gleich getan. In puncto Dinge wegwerfen, die mir im Wege stehen, war ich nämlich eine Heldin! Ab heute eine zuckerfreie Ernährung? Ab in die Tonne mit allem, was auch nur einen Hauch Zucker beinhaltet. Die Hosen sind zu groß oder zu klein geworden? Ab zur Kleidersammlung, völlig egal, dass ich in ein paar Monaten wohl wieder reinpassen würde. (Ja, meine Levi's war eine Ausnahme.) Das Aussortieren hatte also gar nicht weh getan. Auch heute noch ist die Waage für mich ein Werkzeug des Teufels. Ab und an muss ich drauf, so alle zwei Jahre, bei irgendwelchen ärztlichen Kontrollen. Nein, es macht mir nicht nichts aus, obwohl ich gesund bin. Ja, ich brauche ein paar Tage, um mich von dieser Zahl, die mich in einen Gefühlszustand gebracht hat, den ich ohne sie nicht gehabt hätte, zu verabschieden. Deshalb gilt: Auch heute halte ich mich von jeglichen Waagen fern. Jeglichen.


Die genauso vermaledeite Lebensmittelwaage.


Ein wunderbarer Übergang hin zur guten, alten Lebensmittelwaage, meiner besten Freundin und schlimmsten Feindin für einige Jahre. Denn ich als WW-geeichtes Kind (der Einstieg in meine Essstörung in 2004 kam durch Weight Watchers New Zealand) war natürlich komplett abhängig von jeglichen Grammzahlen, die ich mir genehmigte. Furchtbar. Wirklich alles wurde von mir in die Waagschale gelegt. Nutella (was für eine Arbeit, das alles hinterher wieder sauber zu machen!), Äpfel (ja, Äpfel, aber wem erzähle ich das?), Haferflocken (30 g Maximalportion versteht sich). Wenn ich mal "jut drupp" war, genehmigte ich mir sogar 20 g Bretzelchen am Abend vor dem TV. Yeah. What a snack! Nun gut, dass die Anfälle gleich hinter dem Fernseher warteten, versteht sich heute von selbst.


Die Lebensmittelwaage konnte ich aber – Himmel-sei-dank – schon recht früh, also nach circa 4 Jahren Essstörung, aus meinem Leben verbannen. Zugegebenermaßen deshalb, weil ich in der Zwischenzeit ein sehr gutes Gefühl dafür bekommen hatte, wie viel Gramm welche Portionsgröße hatte. Aber auch, weil das Zählen in den verschiedenen "Ernährungsumstellungen" sprich Diäten (Ketogen, Low Carb, Schlank im Schlaf, zuckerfrei) nicht mehr wichtig war. Einzig und alleine auf das Ausschließen von Lebensmitteln kam es an.


Mit dem ersten Tag der Recovery beschloss ich dann aber, alles Gelernte über den Jordan zu werfen. Alle Gedanken um Portionen, Grammzahlen oder Esslöffeleinheiten wurden von mir boykottiert, indem ich "einfach nur" die Lebensmittel in die Schüsseln und Pfannen kippte, manchmal sogar mit geschlossenen Augen. Um mir selbst zu beweisen, dass es egal ist, wie viel Fett im Essen, wie viele Kohlenhydrate in der Mahlzeit sind. Denn: Am Ende des Tages hörte ich ja deshalb auf zu essen, weil mein Körper satt war. Weil ich genug hatte. Und genug hatte ich, weil mein Körper die Energie bekommen hatte, die er verlangt hatte. Mit diesem Wissen schaffte ich es auch, die Kalorien aus meinem Kopf zu verbannen.


Noch einmal, denn ja, ich weiß, wie wichtig diese Information für dich ist:


ES IST VÖLLIG EGAL, WAS AUF DEINEM TELLER IST – WIE VIEL ÖL, BUTTER, ZUCKER, WASAUCHIMMER. DEIN KÖRPER WIRD DANN SATT, WENN ER DIE ENERGIE BEKOMMEN HAT, DIE ER BRAUCHT. ISST DU KALORIENÄRMER, DANN BRAUCHT ER EBEN LÄNGER, UM SATT ZU WERDEN UND DU MUSST MEHR ESSEN.


So gieße ich mir heute mit Leichtigkeit so dermaßen viel Olivenöl in die Pfanne, wie ich es damals nicht für möglich gehalten hätte. Würde ich das Ganze mal in Esslöffeleinheiten messen, ich würde wohl rücklings vom Herd wegkippen und der Stimme meiner Ex-Essstörung eine Chance geben, nach Jahren wieder "Hallo" zu sagen. Also mache ich es nicht und lächle fröhlich, wenn ich meine Mahlzeiten zubereite, weil ich weiß, dass mein Körper alles verstoffwechselt und dieses Essen keinen Einfluss auf irgendeine imaginäre Gewichtskurve hat.


Ich hoffe, du verstehst, was unter'm Strich übrig bleibt.

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Ja, du musst alle Zahlen in deinem Leben loslassen und essen, essen, essen, um diese Erfahrung zu machen. Denn nur mit dieser Erfahrung kannst du auch die Kalorien loslassen und frei sein. Believe me.


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So, kommen wir zum nächten Trigger.


Der leider "notwendige" Spiegel.


Natürlich gab es eine Zeit in meiner Essstörung, in der ich meine Spiegel mit Tüchern abgehängt hatte – ausgenommen des Badezimmerspiegels, der mir nur mein Ebenbild halsaufwärts präsentierte. Das war natürlich nur möglich, weil ich alleine in einer kleinen Studentenbutze hauste und ich keine Verantwortung oder Scham anderen gegenüber haben musste. Irgendwann war das natürlich nicht mehr möglich, erstens, weil ich genervt war, immer alle Tücher zu entfernen, wenn sich Besuch ankündigte und zweitens, weil dann auch mein damaliger Freund und jetziger Ehemann einzog.


Was soll ich dir schreiben? Ich denke du weißt, wie triggernd so ein Spiegelbild sein kann. Vor allem deshalb, weil Spiegel nicht gleich Spiegel ist: Wie auch immer die das schaffen, in manchen Spiegeln sieht man breiter aus, in manchen schmaler. Und natürlich sieht man in der hell erleuchteten Umkleidekabine eines Kaufhauses nochmal unförmiger, blasser und unattraktiver aus als in jedem anderen Spiegel. (Leute, Leute, macht ein Fernstudium in Werbepsychologie, echt jetzt.) Hinzu kommt, dass das Verweilen vor einem Spiegel nichts wettmacht. Stehst du also vor einem eher unvorteilhaften Spiegel, bringt es auch nicht wirklich etwas, wenn du verschiedene Posen für dich ausprobierst. Frust bleibt Frust.


Deshalb mein gut gemeinter Rat: Spiegel gehören nun einmal zu unserem Leben dazu und sie oder alle Schaufenster dieser Welt zu umgehen, ist schier unmöglich. Deshalb stelle dich ruhig face to face deinem Angesicht, aber sorge dafür, dass du vor einem Spiegel stehst, vor dem du dich einigermaßen gut "sehen" kannst. Und dann: Lächle dich an! Immer. Egal, wie es dir gerade geht. Mit dem Fortschreiten der Recovery wirst du lernen, dass dein Spiegelbild völlig egal ist. Dass deine Körperwahrnehmung völlig egal ist. Dass es nicht wichtig ist, wie du dich fühlst im Vergleich dazu, wie du aussiehst. Es ist nicht relevant und ja, ich fühle mich auch heute noch zeitweise schwerer, als ich bin. So what? Das einzige, was in meinem Leben zählt, ist der Ausdruck in meinem Gesicht. Ich wiederhole:


DAS EINZIGE, WAS IN DEINEM LEBEN ZÄHLT, WENN DU IN DEN SPIEGEL SCHAUST, IST DER AUSDRUCK IN DEINEM GESICHT.


So kommen wir dann auch hier vom Stöckchen zum Hölzchen, diesmal dann vom analogen Spiegel zum digitalen: zu den lieben sozialen Netzwerken.


Das unumgängliche World Wide Web.


Das Internet, vor allem aber Social Media, ist quasi der Dr. Jeckyll und Mr. Hyde unserer modernen Gesellschaft: Es lächelt uns freundlich und erhlich an, präsentiert uns Millionen Lösungen – und gleichzeitig hat es die Macht, uns mit nur einer für uns nicht passenden innerlich zu töten. Meinen Blog, meine Beiträge, meine Videos – all' das gäbe es nicht ohne das Internet und ich weiß inzwischen, dass ich durch meine Worte ein wenig Heilung bringen kann. So hatten mich damals Tabitha Farrar und Elisa Oras auf meinem Weg begleitet. Gleichzeitig gab es aber auch unzählige andere Seiten, die mich jahrelang in meiner Essstörung festgehalten oder mich in der Recovery verunsichert hatten. Nicht, weil die Schreiberlinge das aus reiner Boshaftigkeit getan hatten, sondern einfach deshalb, weil jede, ja wirklich jede Meinung im Netz transportiert wird – und jeder Meinungsinhaber seine als die richtige propagiert. Ich bin ehrlich: Ich tue das ja auch.


Wichtig für mich also war, herauszufinden, was mich anspricht – und nicht meine Essstörung. Was zu mir passt und nicht als allgemeingültig gilt. Dafür musste ich meinen gesunden Menschenverstand auf 200 km/h hochfahren und meiner Intuition eine Luxusvilla mit 500 qm Wohnfläche einrichten. Das war ein eher langer als kurzer Weg, aber: Es hatte geklappt. Irgendwann wusste ich genau, was mir gut tut und was mich triggert. Facebook zum Beispiel hatte und habe ich mehr oder weniger aus meinem Leben verbannt. I don't like it, ich hasse es, wie ich mich vergleiche, ohne es zu wollen – nein, nicht in puncto Figur, sondern Lebensweise. Instagram wiederum ertrage ich in gesunden Portionen. Allerdings so gesund, dass ich nur solchen folge, die mich nullundnimmer triggern und ich selbst nicht die Aktivste bin.


Dir möchte ich sagen: Schau' auch du genau hin. Und nutze die Freiheit des Internets, indem du dich frei von allen Seiten und Kanälen machst, die dir auch nur ansatzweise Magengrummeln verursachen. Das hast du während deiner Recovery schon genügend. Es hilft übrigens auch ungemein, komplette Nullphasen einzubauen. Null Internet, null Beeinflussung, null Vergleich, null Individualitätsberaubung. Lass' Hinz und Kunz immer mal wieder außen vor – so auch mich, Mrs. Hinz (der Vokal macht die Musik). Entferne dich immer wieder von allen Meinungen und gib' dir so die Chance, zur Ruhe zu kommen. Wenn es erst einmal still um dich herum ist, dann hörst du dich wieder viel, viel besser. Verschenke deine wertvolle Lebenszeit nicht mit Scrollen, sondern erlebe die Wunder des Lebens in deinem analogen Alltag.


So. Mehr fällt mir zu diesem Thema erst einmal nicht mehr ein. Aber ich bin mir sicher, es gibt noch so viel mehr, was dich triggern kann. Wichtig ist: Sei ehrlich zu dir und frage dich, ob es Sinn macht oder möglich ist, deine Trigger (erstmal) aus deinem Leben zu entfernen. Sei es die zu enge Hose, selbst wenn sie schon eine Größe hat, die "ja jetzt eigentlich wirklich passen sollte". Sei es der Ehering, der deinen Ringfinger abquetscht. Glaube mir: Wenn du nur solche Dinge trägst, die dir eher zu groß als zu klein sind und dich von Meinungen anderer entfernst, dann nimmst du dir eine Menge Sorgen – von jetzt auf gleich. Wenn du nur so handelst, dass du nicht ständig an dein Gewicht, dein Aussehen oder deine "Unzulänglichkeiten" erinnert wirst, dann hast du die Chance, zu verstehen, dass du so viel mehr bist als dein Aussehen und deine Essstörung.


Also: Schau', dass du gut zu dir bist. Dazu gehört, dass du dir eine Umgebung schaffst, in der du nicht permanent daran erinnert wirst, dass du dich gerade von deinem Wunschkörper verabschiedest. Es ist wirklich schwer genug! Du schaffst das. Keep on rocking, baby!

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